Die atypische Netznutzung beschreibt eine besondere Form der Netznutzung, bei der ein Verbraucher bzw. Unternehmen seine Verbrauchszeiten so gestaltet, dass er die Spitzenlastzeiten im Stromnetz vermeidet. Dies geschieht in der Regel durch das Verschieben des Stromverbrauchs auf Zeiten, in denen das Netz weniger belastet ist. Diese Art der Netznutzung wird in Deutschland unter anderem durch § 19 der Stromnetzentgeltverordnung (StromNEV) geregelt und bietet betroffenen Verbrauchern die Möglichkeit, reduzierte Netzentgelte von bis zu 80 % zu erhalten. Das Ziel ist es, die Netzstabilität zu erhöhen und die Netzausbaukosten zu senken, indem eine gleichmäßigere Auslastung des Stromnetzes erreicht wird.
Im Gegensatz zur Bandlast- und Bandstrom-Regelung, die möglichst konstanten Stromverbrauch belohnt, ist die atypische Netznutzung demnach ein zweites Netzentgelt-Sparmodell gemäß § 19 StromNEV für Unternehmen. Im Rahmen der Energiewende und der zunehmenden Einspeisung von volatilen erneuerbaren Energien wird solch ein flexibles Verbrauchsmuster für die gesamte Netzstabilität immer wertvoller. Daher legt die geltende Stromnetzentgeltverordnung fest, dass Betrieben mit netzendlastendem Verhalten eine Netzentgeltreduktion von mindestens 20 % von den Netzbetreibern gewährt werden muss. Zurzeit profitieren rund 400 deutsche Unternehmen von individuellen Netzentgelten nach der atypischen Netznutzung.
Voraussetzungen für eine atypische Netznutzung
Voraussetzung für die atypische Netznutzung ist die Spitzenlastvermeidung während der Hochlastzeitfenster. Der Verbraucher muss also seinen Stromverbrauch so steuern, dass er in den vom Netzbetreiber definierten Spitzenlastzeiten deutlich weniger Strom bezieht. Diese Hochlastzeitfenster ermittelt jeder Netzbetreiber nach einem einheitlichen Berechnungsverfahren der Bundesnetzagentur für jede Netz- und Umspannungsebene. Aus dem viertelstündigen Jahreslastgang des Unternehmens wird eine Maximalwertkurve des Verbrauchs ermittelt und um 5 % reduziert. So ergeben sich die Hochlastzeitfenster, die es nun gilt zu unterbieten, damit die reduzierten Netzentgelte beim jeweiligen Netzbetreiber beantragt werden können.
Die Höchstlast des Verbrauchers muss während des Hochlastzeitfensters einen ausreichenden Abstand zu seiner absoluten Jahreshöchstlast aufweisen. Dies stellt sicher, dass die verbraucherseitige Höchstlast erheblich von der prognostizierten Jahreshöchstlast der übrigen Stromentnahmen abweicht. Je nach Netzebene müssen dabei bestimmte prozentuale Mindestabstände (Erheblichkeitsschwellen) eingehalten werden. Zusätzlich ist ein Mindestverlagerungspotential von 100 kW erforderlich. Dieser Erheblichkeitsabstand beschreibt die Differenz zwischen der höchsten Last des Letztverbrauchers im Hochlastzeitfenster und seiner absoluten Jahreshöchstlast.
Maßnahmen zur Umsetzung einer atypischen Netznutzung
Unternehmen können verschiedene Maßnahmen ergreifen, um eine atypische Netznutzung zu erreichen und somit von einem verminderten Entgelt zu profitieren. Eine wichtige Strategie ist das Lastmanagement, das sowohl die Lastverschiebung (Load Shifting) als auch die Lastspitzenreduktion (Peak Shaving) umfasst. Dabei werden energieintensive Prozesse auf Zeiten außerhalb der Hochlastzeitfenster verlagert oder der Energieverbrauch während Hochlastzeiten temporär reduziert. Zudem können Unternehmen durch die Implementierung energieeffizienter Technologien und Prozesse sowie die Optimierung von Produktionsabläufen den Gesamtenergieverbrauch senken.
Auch die eigene Energieerzeugung und -speicherung spielt eine bedeutende Rolle. Der Einsatz von Blockheizkraftwerken, Solaranlagen oder anderen dezentralen Energieerzeugungseinheiten kann den Netzbezug minimieren. Die Installation von Batteriespeichern ermöglicht es, Energie während Niedriglastzeiten zu speichern und in Hochlastzeiten zu nutzen. Intelligente Steuerungssysteme und Energiemanagementsysteme (EMS) zur Überwachung und Optimierung des Energieverbrauchs tragen ebenfalls zur Anpassung des Lastprofils bei.
Weiterhin können Unternehmen ihre Energielieferverträge anpassen, um flexible Tarife zu nutzen, die Lastverschiebungen belohnen, und Sonderkonditionen für atypische Netznutzung mit Energieversorgern verhandeln. Die Teilnahme an Demand-Response-Programmen bietet eine zusätzliche Möglichkeit, da Unternehmen für die Reduzierung ihres Verbrauchs während hoher Netzlastzeiten vergütet werden.
Vorteile der atypischen Netznutzung für Unternehmen
Der Hauptvorteil der atypischen Netznutzung für Unternehmen liegt in der Reduktion der Netzentgelte. Diese beträgt, je nach Netzbetreiber und individuellem Vertrag, zwischen 20 und 80 %.
Generell hängt ihre Höhe von der Spannungsebene ab, auf der der Strom entnommen wird, wobei es Unterschiede zwischen Hoch-, Mittel- und Niederspannung gibt. Die Netzentgelte setzen sich aus einem Leistungspreis und einem Arbeitspreis zusammen. Der Leistungspreis wird anhand der höchsten abgenommenen Leistung innerhalb eines bestimmten Zeitraums berechnet, wobei die höchste Viertelstundenleistung berücksichtigt wird.
Der Arbeitspreis hingegen wird auf die tatsächlich verbrauchte Energiemenge erhoben und variiert je nach Verteilnetzbetreiber und Spannungsebene. Somit sind die Netzentgelte regional äußerst unterschiedlich, da sie von den jeweiligen Netzbetreibern festgelegt und von der Bundesnetzagentur genehmigt werden, basierend auf den spezifischen Kosten des Netzbetriebs in der Region.
Vorteile der atypischen Netznutzung für das Stromnetz
Für den Netzbetreiber bedeutet die atypische Netznutzung eines Kunden eine Entlastung Ihres Netzes. Gerade der akute Druck zum Stromnetz-Ausbau wird durch eine gleichmäßigere Auslastung so gemildert. Zudem werden Anreize für Verbraucher geschaffen, ihre Lastverteilung zu optimieren und flexible Verbrauchsstrategien zu entwickeln.
Genau dies wird nämlich in den vorgesehenen Reformen der Wachstumsinitiative und des deutschen Energiemarktes gefordert. Typische Anwendungsfälle umfassen Industriebetriebe, die ihre Produktionszeiten flexibel gestalten können, den Einsatz von Batteriespeichern zur Vermeidung des Stromverbrauchs in Spitzenlastzeiten und automatisierte Lastmanagement-Systeme, die den Stromverbrauch in Echtzeit steuern.
Fazit zur atypischen Netznutzung
Die atypische Netznutzung stellt eine effektive Strategie dar, um die Netzstabilität zu erhöhen und die Netzausbaukosten zu senken, indem sie eine gleichmäßigere Auslastung des Stromnetzes fördert. Durch die Vermeidung von Spitzenlastzeiten können Unternehmen ihre Netzentgelte erheblich reduzieren, Diese Form der Netznutzung gewinnt im Zuge der Energiewende und der verstärkten Einspeisung erneuerbarer Energien zunehmend an Bedeutung. Im Gegensatz zur Bandlast-Regelung, die ebenfalls in § 19 StromNEV und wahrscheinlich zum Jahre 2026 ausläuft, wird die atypische Netznutzung künftig noch gestärkt. In welcher Form bleibt abzuwarten.
Neben den finanziellen Vorteilen für Unternehmen trägt die atypische Netznutzung auch zur Entlastung des öffentlichen Stromnetzes bei. Sie reduziert den Druck zum Netzausbau und schafft Anreize für Verbraucher, flexible Verbrauchsstrategien zu entwickeln. Diese Maßnahmen sind essentiell für die geplanten Reformen des deutschen Energiemarktes und fördern eine nachhaltige und stabile Energieversorgung.