Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist ein zentrales Instrument im europäischen Emissionshandel (EU-ETS). Sie wurde 2019 eingeführt, um Überschüsse an Emissionszertifikaten im Markt zu reduzieren, die Preisstabilität zu erhöhen und reagiert flexibel auf Veränderungen von Angebot und Nachfrage. Als wichtige Komponente der CO₂-Bepreisung entfaltet die MSR ihre regulierende Wirkung nur im Gesamtsystem des EU-ETS und stellt ein dynamisches Korrekturinstrument dar.
Einordnung der MSR im Gesamtsystem des EU-Emissionshandels
Die Marktstabilitätsreserve wirkt innerhalb des regulatorisch festgelegten Emissionsbudgets („Cap“) und ergänzt damit das Mengensteuerungssystem des EU-ETS. Sie beeinflusst nicht die Gesamtmenge der zulässigen Emissionen, sondern wirkt auf die zeitliche Verfügbarkeit der Zertifikate im Markt. In Kombination mit weiteren Reformelementen wie der linearen Reduktionsfaktor (LRF), der Innovation Fund oder dem geplanten sozialen Klimafonds entsteht ein zunehmend integriertes Instrumentensystem. Es fördert sowohl die Marktstabilität als auch die Transformation.
Marktstabilitätsreserve als Instrument der Klimapolitik
Die MSR ist so eine zentrale Säule im Emissionshandel und der europäischen Klimapolitik. Sie trägt dazu bei, Angebotsüberschüsse bei Emissionszertifikaten zu reduzieren, die sich unter anderem durch wirtschaftliche Abschwünge oder politische Entscheidungen ansammeln können. Durch die Stabilisierung des Zertifikatmarktes unterstützt die MSR die Preisbildung für CO₂-Emissionen. Gleichzeitig schafft sie planbarere Rahmenbedingungen für Investitionen in emissionsarme Technologien. Dies erhöht die Effektivität des Emissionshandels als marktbasiertes Klimaschutzinstrument und stärkt seine Steuerungswirkung im Hinblick auf die langfristige Reduktion von Treibhausgasemissionen.
Ziele der Marktstabilitätsreserve im Emissionshandel
Das Hauptziel der Marktstabilitätsreserve besteht darin, das europäische Emissionshandelssystem widerstandsfähiger und effektiver zu machen. Dies geschieht, indem sie strukturelle Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage von Emissionszertifikaten ausgleicht. In den ersten Jahren nach der Einführung des Emissionshandels kam es zu einem großen Überschuss an Emissionszertifikaten. Dieser Überschuss entstand, weil die Industrie weniger CO₂ ausstieß, als erwartet und gleichzeitig viele Zertifikate aus früheren Jahren angespart wurden. Insgesamt sanken die CO₂-Zertifikatpreise derart, dass der Anreiz für Unternehmen, in klimafreundliche Technologien zu investieren, stark abnahm. Die Steuerungswirkung des Emissionshandels wurde so komplett ausgehebelt.
Genau hier setzt die MSR mit dem Ziel ein, das Angebot an Emissionszertifikaten besser an die tatsächliche Nachfrage anzupassen. Durch die automatische Entnahme überschüssiger Zertifikate aus dem Markt wird das Angebot verknappt, was zu einer Stabilisierung des CO₂-Preises beitragen soll. Dadurch werden Anreize für Emissionsvermeidung und Investitionen in treibhausgasarme Technologien geschaffen. Zusätzlich soll die MSR die Funktionsfähigkeit und Planbarkeit des Emissionshandelssystems langfristig stärken. Die automatische Mengenanpassung reduziert die Anfälligkeit für kurzfristige Marktschwankungen und politische Eingriffe. Dies erhöht die Verlässlichkeit des Emissionshandels und unterstützt die Zielerreichung der europäischen Klimapolitik.
MSR-Mechanismus im EU-ETS
Der Mechanismus der Marktstabilitätsreserve basiert auf der jährlichen Ermittlung der Gesamtzahl der im Umlauf befindlichen Emissionszertifikate (Total Number of Allowances in Circulation, TNAC). Übersteigt die TNAC einen Schwellenwert von 833 Millionen Zertifikaten, wird ein jährlich neu festgelegter Prozentsatz des Überschusses in die MSR überführt. Dieser Satz reduziert sich jährlich. Sinkt die TNAC beispielsweise unter 400 Millionen, werden 100 Millionen Zertifikate aus der MSR-Reserve wieder dem Markt zugeführt. Zusätzlich gilt seit 2023, dass Zertifikate, die den Umfang des Auktionsvolumens des Vorjahres in der MSR übersteigen, dauerhaft gelöscht werden. Dies dient der weiteren Verknappung und Stabilisierung des Zertifikatmarkts.
Kritik und Herausforderungen der MSR im Emissionshandel
Die Marktstabilitätsreserve steht in der fachlichen Diskussion auch in der Kritik. Ein wesentlicher Punkt betrifft die verzögerte Reaktionsweise der MSR. Da sie auf historischen Daten basiert, erfolgt die Anpassung des Zertifikatangebots nicht unmittelbar, sondern zeitversetzt. Dies kann dazu führen, dass bei frühzeitig angekündigten Klimaschutzmaßnahmen unbeabsichtigt zusätzliche Zertifikate freigesetzt werden. Zudem werden im Design der MSR strukturelle Schwächen gesehen – insbesondere die Berechnung der Gesamtzahl im Umlauf befindlicher Zertifikate (TNAC) gilt als unzureichend, da sie zentrale Marktdynamiken, wie etwa das Verhalten von Marktteilnehmern oder regulatorische Unsicherheiten, nur unvollständig berücksichtigt. Vor diesem Hintergrund wird zunehmend Reformbedarf gesehen. In Diskussion stehen unter anderem auch immer wieder Anpassungen der Entnahmerate („intake rate“) sowie der Schwellenwerte, um die Steuerungs- und Stabilisierungsfunktion der MSR zu verbessern.
Aktuelle Entwicklung der Marktstabilitätsreserve
Die dauerhafte Löschung von Zertifikaten, die den Umfang des Auktionsvolumens des Vorjahres in der MSR überschreiten, wurde bereits mit dem Legislativpaket „Fit for 55“ eingeführt. Zurzeit diskutieren Experten weitere Anpassungen, die notwendig sind, wenn der europäische Emissionshandel auf weitere Sektoren ausgeweitet wird. Im Fokus stehen dabei unter anderem eine Überprüfung der Schwellenwerte für die TNAC-Berechnung sowie eine mögliche Neuausrichtung der Entnahmerate. Die zukünftige Ausgestaltung der MSR wird damit maßgeblich dazu beitragen, ob das Emissionshandelssystem auch unter veränderten Rahmenbedingungen seine Lenkungswirkung zuverlässig entfalten kann.
Fazit und Ausblick
Die Marktstabilitätsreserve hat sich als wirksames Instrument zur Stabilisierung des Zertifikatemarkts erwiesen. Sie trägt dazu bei, Überschüsse zu verringern und die CO₂-Preise auf einem wirksamen Niveau zu halten. Dennoch bestehen weiterhin Schwächen im Design, insbesondere bei der Berechnung der Knappheit und der Reaktionsgeschwindigkeit. Mit Blick auf die steigenden Klimaziele und die Ausweitung des Emissionshandels auf weitere Sektoren wird eine Weiterentwicklung der MSR erforderlich sein. Anpassungen bei Schwellenwerten und Entnahmeraten werden bereits diskutiert. Auch auf europäischer Ebene stehen in den kommenden Jahren weitere Überprüfungen an. Die Ausgestaltung der MSR wird dabei mitentscheiden, ob der Emissionshandel seine Steuerungswirkung auch langfristig zuverlässig entfalten kann.